33 Tage Chemotherapie

1 Antikörpertherapie

13 Lumbalpunktionen

12 Mal intrathekale Chemotherapie

12 Knochenmarkpunktionen

3 passende Stammzellspender

1 allogene Stammzelltransplantation 

 

Das ist meine Krankheit ausgedrückt in Zahlen. 

Wie es sich anfühlt, als vermeintlich kerngesunder Mensch von seiner potentiell tödlichen Krankheit zu erfahren, drücken sie nicht aus. 

Mir wird oft die Frage gestellt, welche Symptome ich an mir bemerkt habe und wie die Leukämie festgestellt wurde.

Ich will euch erzählen, wie ich fast gestorben wäre, weil ich nicht auf meinen Körper hören konnte:

 

Heute wird vermutet, dass die Frühgeburt von Mila bereits durch den Krebs ausgelöst wurde. 

Nach der Entbindung war ich erschöpft aber noch ziemlich fit. Viele meiner Symptome haben in Summe betrachtet auch die Auswirkungen der Geburt und des Wochenbettes sein können.

Der erste Hinweis waren die Äderchen, die in meinem gesamten Gesicht und in einem meiner Augen unter der Geburt geplatzt waren. An der Stelle, wo mir ein Zugang gelegt wurde, bekam ich später ein riesiges Hämatom. Basti hatte während der Entbindung besorgt gefragt, ob das in der Art normal sei und wurde von den Hebammen beruhigt. 

Obwohl ich nicht temperaturempfindlich bin, erinnere ich mich an Eines sehr gut: Die unfassbare Hitze im Kreissaal.

Es kam mir vor, als würde sie mir die Luft zum Atmen nehmen und sich so der Vorhof zur Hölle anfühlen. Ja, an diesem Tag war es ziemlich warm aber bei weitem nicht so unerträglich, wie ich es empfunden habe. Nach rund sieben Stunden in regelmäßigen Wehen hat meine kleine Mila die Welt zum ersten Mal mit ihren riesigen dunklen Augen angeschaut. 

 

Meine Blutwerte waren nach der Geburt normal. Dazu zählt auch ein niedriges Hämoglobin, dass sich nach blutreichen Entbindungen erst wieder Einpegeln muss.

Als ich entlassen wurde und noch einige Tage als Milas Begleitperson auf der Kinderstation untergebracht war, habe ich wieder diese extremen Hitzewallungen gespürt. Vor Allem Nachts raubten sie mir den ohnehin schon wenigen Schlaf. 

Da Mila noch im Wärmebett lag, man nicht richtig Lüften konnte und sich Alles auch noch im Rekordsommer 2018 abgespielt hat, haben wir das Anzeichen nicht so ernst genommen.

 

Zu meinen zahlreichen blauen Flecken hat sich auf der Kinderstation ein ringförmiger Ausschlag gesellt, den eine Dermatologin später als Nesselsucht diagnostiziert hat. Die Kinderärzte hatten Ringelröteln oder eine Pilzinfektion wegen dem vielen Schwitzen in Verdacht. Und da haben wir den nächste Symptom: nächtliche Schweißausbrüche. 

Wenn die Raumluft angenehme 25 Grad Celsius aufweist und man gerade entbunden hat, schiebt man das auf die Temperaturen und den Hormonsturz. 

Auch die immer größer werdende Erschöpfung lässt sich einfach erklären. Mila war ein trinkschwaches Frühchen, das an der Brust und zusätzlich an der Flasche über eine Stunde lang gefüttert wurde. Seit dem Tag ihrer Geburt lag der Fokus darauf, dass sie weiter an Gewicht zulegt. Die Fläschchen haben sich leider nicht von allein mit Muttermilch gefüllt. Also sah unser Rhythmus so aus: Stillen, Zufüttern, Abpumpen, eine Stunde Schlafen. 

 

Mit den Wochen habe ich nachts immer mehr geflucht: Darüber, dass ich die Milch aus dem Erdgeschoss holen musste und dafür Treppen stieg, über die verdammte Mikrowelle, die die Milch immer zu heiß werden ließ oder ewig zum erwärmen brauchte, dass für mich alles nach alter Muttermilch roch und heimlich über mich selbst, weil mir die Kontrolle als frisch gebackene Mama aus den Fingern glitt.

Mein lieber lieber Mann hat mir Alles im Haushalt außer die nächtlichen Fütterungen und natürlich die Stillversuche abgenommen. So konnte ich am Tag Schlaf nachholen und habe über die Tage und Nächte verteilt im Schnitt mehr als 8 Stunden geschlafen. Aber auch damit wurde es nicht besser. Diese Müdigkeit war so lähmend, dass ich Mila für ihre Flaschenmahlzeit irgendwann nicht mehr aus dem Beistellbett genommen habe sondern nur ihren Oberkörper anhob. Und trotzdem kam es dazu, dass ich zwischendurch aufwachte und die halbleere Flasche irgendwo neben ihrem Köpfchen lag. Ich schlief tagsüber ständig - sogar wenn wir Besuch hatten. Ich schlief über vier Stunden am Stück und bin trotzdem todmüde aufgewacht. Diese Bezeichnung trifft es wohl am besten. 

 

Wie immer hatte ich harmlose Erklärungen: die Hitze, die Hormone, der unregelmäßige Schlaf und dass ich bestimmt eine Sommergrippe ausbrüte. Im Nachhinein frage ich mich, wo mein Instinkt in dieser Zeit war. Die Treppe bin ich auf allen Vieren hochgekrochen wie ein Hund. Ich hatte keine Kraft, mein 3kg-Baby richtig zu heben. Über die purzelnden Kilos war ich weder verwundert noch traurig. Ich wusste, dass ich sehr viel Wasser eingelagert hatte und habe die ersten 10kg bei der Entbindung und den sechs Wochen danach verloren. Wenn man Muttermilch produziert, ist auch das nichts Ungewöhnliches.

Was aber sehr ungewöhnlich für mich war, ist Appetitlosigkeit. Dazu kam ein seltsames Druckgefühl im Brustkorb.

Was uns letzten Endes in Alarmbereitschaft versetzt hat war ein kleiner Knoten am Hals unterhalb von meinem Ohr. Entdeckt habe ich ihn noch vor dem Mutterschutz, als ich im Büro saß. 

 

Dieser Knoten und dass ich alles mit einer Sommergrippe entschuldigte, brachte Basti an der Rand des Wahnsinns.

Am Montag in seiner letzten Elternzeitwoche hat er darauf bestanden, endlich zur Hausärztin zu fahren. Er wollte unbedingt beim Gespräch dabei sein. Einige seiner Worte haben mich überrascht, weil ich selbst ein anderes Bild von mir hatte. Er war sehr besorgt und machte der Ärztin klar, dass ich mich wie ein anderer Mensch verhalte. 

 

Leider konnte an diesem Tag kein Blut mehr ins Labor eingeschickt werden, weshalb wir am nächsten Tag wieder auf der Matte standen. Die Ergebnisse sollten am Freitag da sein. Bereits am Mittwoch - zufällig unserem 11. Jahrestag, rief meine Hausärztin besorgt an. Es war wohl so akut, dass sie selbst vom Labor einen Anruf erhalten hat. 

Meine Blutwerte waren sehr schlecht, sodass ich mich am nächsten Tag bei einem Hämatologen oder notfalls in einer Rettungsstelle mit angeschlossener Onkologie vorstellen sollte. 

Ich war sehr naiv zu denken, dass das nichts zu bedeuten hatte. Ich habe den Gedanken an etwas Ernsteres als einen Infekt so sehr verdrängt, weil mein sechs Wochen altes Frühchen mich brauchte. Es ging einfach nicht. Dabei hat sie das Wort ganz deutlich ausgesprochen: Onkologie. 

 

Am kommenden Tag hat uns ein sehr warmherziger Hämatologe empfangen - ein neuer Kollege in der Gemeinschaftspraxis, die meine Hausärztin empfohlen hat. Wie es der Zufall wollte, war er nur einige Wochen vorher Oberarzt auf der hämotologisch-onkologischen Station 119A in der Charité in Berlin Mitte. 

Mittels Ultraschall hat er den Knoten an meinem Hals angeschaut und ihn als unbedenklich eingestuft. Außerdem hat er festgestellt, dass meine Milz deutlich vergrößert war. Es waren stolze 14cm. Ich glaube, der Normbereich für Frauen meiner Statur beträgt knapp 10cm. 

 

Er hat einen Einweisungsschein für mich ausgestellt und ein Bett auf der Onkologiestation der Charité organisiert. Dort sollte ich mich weiteren Untersuchungen unterziehen. 

Auf die Frage, wie ernst es werden könne, ließ er uns mit zwei Optionen den Weg zur Charité antreten: Pfeiffersches Drüsenfieber oder eine Krebserkrankung.

Basti hat im Auto angefangen zu weinen und ich habe ihn getröstet aus tiefster Überzeugung, dass es nur dieser dämliche Virus ist.

 

Auf Station 119A angekommen, haben die Ärzte eine Knochenmarkpunktion und ein CT gemacht. Solange wir auf die Ergebnisse warten mussten, ist Basti nach Hause gefahren und hat meine Kliniktasche gepackt. 

Noch bevor er wieder zurück war, betraten der Oberarzt und zwei weitere Ärzte das Zimmer, setzten sich auf die breite Fensterbank und haben mir zu verstehen gegeben, dass ich Blutkrebs habe.

Ich hatte es schon gespürt, als sie die Tür geöffnet haben. Den Satz begonnen haben sie in etwa mit den Worten: „Es trifft sie jetzt an einem ungünstigen Zeitpunkt in ihrem Leben, aber …“. Die umfassende Aufklärung zur Therapie wollte ich mir zusammen mit Basti anhören.

 

Ich habe am Telefon gelogen und ihm erzählt, es gäbe noch keine Neuigkeiten von den Ärzten. Ich hatte schlichtweg Angst, dass er sich nicht mehr aufs Autofahren konzentrieren kann. Ich wollte mich als frisch gebackene Mama morgens schnell beim Arzt checken lassen und bin für viele Wochen nicht nach Hause gekommen. Dass Etwas nicht stimmt, wusste ich. Niemals hätte ich aber vermutet, dass ich sterbenskrank bin.

 

Als Basti gegen 18:00 Uhr angekommen ist, war das Licht im Zimmer Nummer 24 seltsam. Die Jalousien waren bis zur Fensterhälfte runtergelassen und die Sonne schien diffus durch die Lamellen. 

Basti hat sich dort hingesetzt, wo kurz vorher die Ärzte brav in Reihe saßen.

Auf die Frage, ob ich nochmal wegen der Ergebnisse nachgehakt habe, habe ich mich auf seinen Schoß gesetzt und es ihm erzählt: „Schatz? Ich habe die Ergebnisse schon. Ich habe Leukämie.“ 

Waren das die richtigen Worte? Viel Zeit zum Formulieren hatte ich ja nicht. 

 

Er hat mich etwas unsanft von seinem Schoß geschoben, ist aufgestanden, hat in Boxer-Manier Schläge gegen die Wand angedeutet und Dinge gesagt. Dinge, an die ich mich nicht mehr konkret erinnern kann. Ich erinnere mich nur an die Tränen, die permanent über sein Gesicht liefen. Die Erinnerungen sind heute etwas verschwommen. Es folgten diverse Telefonate, um unseren Familien die Nachricht zu überbringen. Wir wurden danach über die Therapie aufgeklärt, die bereits am Folgetag starten sollte und vor die Entscheidung gestellt, ob wir fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen beanspruchen wollen. Deadline: Visite am nächsten Tag. 

 

Der Arzt, der uns aufgeklärt hat, hat deutlich betont, dass mein Zustand lebensbedrohlich ist und wir die Chemotherapie schnell beginnen sollten. Um Eizellen entnehmen zu können, hätte ich aber zwei Wochen lang eine Hormonstimulation benötigt und auch dann wäre nicht sicher, ob sich diese Eizellen jemals nach der Krebstherapie in meinem Körper einnisten. 

Mir war sofort bewusst, dass ich mich in diesem Augenblick von meinem Traum - Mann, Haus, zwei Kinder, Hund - verabschieden muss. Ich habe lieber riskiert, dass Mila zum Einzelkind wird anstatt zur Halbweise. 

 

Noch in der Nacht wurde ein zentraler Venenkatheter gelegt und am kommenden Tag begann die Chemotherapie.

Meinem Blutbild nach zu urteilen war ich zu diesem Zeitpunkt circa 8 Wochen krank. Eine akute Leukämie überleben Betroffene soweit sie nicht therapiert werden nur rund 8 bis 12 Wochen lang. Hätte Basti nicht darauf bestanden, dass seine sonst so vernünftige Frau sich beim Hausarzt endlich checken lässt, wäre ich gestorben. 

 

Ich wäre an Naivität und Leukämie gestorben und hätte ihn allein gelassen. Diese Vorstellung spukt regelmäßig in meinem Kopf: Ein schreiendes, hungriges Baby mit voller Windel, ein bellender Hund und ich, wie ich still und heimlich eingeschlafen bin und derweilen kalt auf dem Sofa liege. Und dann ist da der Mann den ich liebe, der die Tür öffnet und den dieses Szenario aus seinem gewohnten Leben reisst. Es war haarscharf. Dieser Gedanke hat uns anfangs Angst gemacht. Er hat uns aber auch vor Augen geführt, dass wir trotz oder gerade wegen der Diagnose großes Glück hatten. 

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Chemo Nr. 1


 

Meine Chemotherapie begann am Freitag, dem 17. August 2018.

Das sogenannte 7+3-Schema kam zur Anwendung: 7 Tage lang Cytarabin über 24 Stunden und an drei Tagen ein weiteres Zytostatikum - in meinem Fall Daunorubicin. 

Ich weiß noch, wie gespannt ich war, ob man das Gift als solches wahrnimmt. Wird mir gleich komisch? Werde ich mich gleich übergeben müssen, Nasenbluten bekommen und am nächsten Morgen in einem Nest aus ausgefallenen Haaren aufwachen? Ich musste gleich an Filme wie „Beim Leben meines Schwester“ denken… 

 

Doch die erste Woche verlief ziemlich normal. Nur mein Geschmackssinn begann sich langsam zu verändern. Ich weiß nicht mehr, wie weit die Therapie genau vorangeschritten war, aber irgendwann war alles nur noch bitter und sauer oder geschmacklos. Ganz abgesehen davon, habe ich jedes Medikament und sogar Kochsalzlösung in Fertigspritzen beim Verabreichen über den Katheter schmecken können.

Eine eher harmlose Nebenwirkung waren die Wassereinlagerungen. Mein Gesicht sah in der Zwischenzeit surreal aus.

Sogar meine Ohren waren dick und rot und haben wie verrückt gejuckt. Der pinkfarbene Ausschlag machte es nicht besser, verging aber ziemlich schnell. Im Nachhinein betrachtet war das Gesichtsödem ziemlich witzig.

 

Die gefährlichste Wirkung der Chemotherapie ist und bleibt aber das Zelltief. Das Gift tötet eben nicht nur den Krebs, sondern alle Zellen, die sich schnell teilen. Dazu gehören Haarzellen, Schleimhautzellen in Mund, Magen und Darm und Blutzellen. 

Meine Haare nach knapp vier Wochen abzurasieren, habe ich als Befreiung empfunden. Zum Glück habe ich auch die schmerzhafte Erfahrung mit offenen Schleimhäuten erst während der Transplantation gemacht. Fehlen jedoch Blutzellen, funktioniert der Körper nicht richtig. 

Bei Mangel an roten Blutkörperchen fühlt man sich schlapp und die Organe bekommen nicht genug Sauerstoff. Fehlen Thrombozyten kommt es vermehrt zu Blutungen und blauen Flecken und weil gezielt die Leukozyten angegriffen werden, hat man quasi kein Immunsystem. Rotes Blut und Blutplättchen kann man transfundieren, nicht aber die Leukozyten.

 

Das bedeutet: Umkehrisolation. Mein Besuch muss in dieser Zeit einen Mundschutz in meinem Zimmer tragen und regelmäßig die Hände desinfizieren. Will ich das Zimmer verlassen, muss ich mich wiederum mit einem Mundschutz schützen.

Weil Mila ebenfalls kein vollständiges Immunsystem hatte, sollten wir uns nach Möglichkeit bei gutem Wetter unten auf dem Klinikgelände sehen. In den ersten acht Therapiewochen hat sie mich deshalb kaum besuchen können. 

 

In der Umkehrisolation muss ich mich außerdem keimarm ernähren. Für mich ist das ein krasser Eingriff in meine gewohnte Lebensweise.

Als Krebspatient, der oft an Erbrechen, Durchfällen und Appetitlosigkeit leidet, ist es schwer das Gewicht zu halten. Muss man dann noch auf die Keime achten, bleibt einem nicht viel Auswahl.

Es muss Alles durchgekocht sein (auch Kräuter und sogar Pfeffer) und am selben Tag gegessen werden.

Gemüse und Obst ist nur erlaubt, wenn es schälbar und kein Steinobst ist und man es sofort nach dem anschneiden verbraucht. Man verzichtet auf alle Milchprodukte ohne UHT-Siegel, auf Smoothies aus dem Kühlregal, salzige Snacks, Milcheis und Schokolade.

Dass ich nichts Rohes oder mit Edelschimmel wie Rohschinken, Sushi, Mayo, Salami, Schimmelkäse und Co. essen darf, habe ich schon in der Schwangerschaft befolgt.

Jetzt kam die Einschränkung dazu, dass Getränke und alles Abgepackte innerhalb von 24 Stunden verbraucht werden müssen. Theoretisch darf ich Ketchup nur aus kleinen Tütchen essen, aber das halte ich nicht ganz ein...

Das Komplizierteste ist aber der Verzicht auf Nüsse, Samen, Vollkorn und Soja. Naja - bei Soja fällt es mir nicht so schwer. Spuren von Nüssen sind aber so gut wie überall drin und nur helles Gebäck zu essen, ohne dass sich auch nur ein Mohnkorn darauf verirrt, frustriert nach einiger Zeit. Irgendwann sehnt man sich nach einem schönen Salat und Vollkornbrot. Essen von außerhalb ist natürlich auch tabu. 

 

Ich halte diese Regeln nicht immer ein. Für das Schokoladenverbot gibt es keine wissenschaftlichen Evidenzen, also habe ich die Regel gleich gestrichen. Außerdem kocht Basti mittags gern für zwei Tage und ich esse die Mahlzeiten deshalb nicht innerhalb von 24 Stunden auf. Ich muss zugeben, dass ich mir zwischendurch auch ein Sahneeis gegönnt hab und mir ab und zu Pommes vom Händler des Vertrauens bringen lasse. Wenn das heiße Fett mögliche Keime nicht tötet, dann schafft es nichts. Bei Nüssen, Samen und Snacks bin ich aber streng mit mir. Die sind verboten, weil auf deren Oberfläche oft Pilze wachsen und eine Pilzinfektion selbst bei gesunden Menschen oft monatelang "ausgetrieben" werden muss.

 

Der Freiheitsentzug, das keimarme Essen, schnarchende Zimmergenossinnen, das fremde Bett und die fehlende Badewanne haben meine Lebensqualität ziemlich vermindert. Die Einsamkeit zwischen den Besuchen deiner Familie und die Nebenwirkungen, deren man allein die Stirn bieten musste, sind wie eine schlecht heilende Wunde. Mit der Zeit wird es besser, aber man gewöhnt sich nie daran.

 

Nach dem ersten Chemozyklus wurde am 15. Tag eine Knochenmarkpunktion vorgenommen. Leider sprach ich nicht wie gewünscht auf die Therapie an, da mehr als 5% Krebszellen nachweisbar waren. Das war ein Grund, weshalb ich damals schon im „Transplantationstopf“ gelandet bin. Der zweite Grund war eine ungünstige Mutation meiner Krebszellen, die sich RUNX1 nennt. Deshalb wurde meine Schwester Kinga als einzig möglicher Familienspender typisiert, hat aber nicht gepasst.

Die Wahrscheinlichkeit dafür lag bei 1:3.

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Chemo Nr. 2


Nachdem sich mein Blutbild nach ungefähr drei Wochen regeneriert hatte, begann nahtlos der 2. Chemozyklus.

Die Medikamente waren deutlich höher dosiert, liefen dafür aber an drei Tagen über maximal 5 Stunden und nicht permanent. 

Ab ungefähr der 4. Woche in Behandlung fingen meine Haare an, auszufallen. Weil sie dadurch schnell verfilzten und das Kissen mit ihnen voll war, habe ich mich auf meine Kopfrasur gefreut. Ich weiß, dass viele Patientinnen sehr an ihren Haaren hängen. Für mich war es unterbewusst ein Symbol meiner Stärke, weil ich mich davon nicht beeinflussen ließ. Ich wusste, dass ich noch immer attraktiv sein kann, wenn ich will. Ich wusste außerdem, dass es nicht die richtige Zeit für Eitelkeit ist. 

Die Haare abzurasieren hinterlässt einen subtilen und sehr befriedigenden Anschein von Kontrolle. Deshalb habe ich zusammen mit Basti zum Rasierer gegriffen. Plötzlich ist man wieder im Kampfmodus und fühlt sich zu der Gruppe seiner Leidensgenossen zugehörig. Ichweiß nicht, welches Wort das richtige ist und es fällt mir schwer, das zu erklären: Je mehr ich mich auf mein Innerstes besonnen oder reduziert habe, desto einfacher war es, Schmerzen, Kraftlosigkeit und Ängste zu ertragen. Dabei hat mir der Verlust meiner Haare sogar geholfen. An manchen Tagen hätte ich mich am liebsten in Emryonalstellung zusammengerollt, die Augen geschlossen und wie eine resistente Küchenschabe die gesamte Therapie verschlafen um gesund aufzuwachen. 

 

Bei diesem Chemozyklus bekam ich zum Beispiel das erste Mal hohes Fieber und Schüttelfrost.

Bei jedem Fieber wird ein Röntgen der Lunge gemacht, denn Lungenentzündung kommt unter den tödlichen Komplikationen sehr häufig vor. Außerdem werden präventiv Antibiotika über die Vene verabreicht, die bei mir  Probleme mit dem Darm und meine geliebte Kotzeritis verursacht haben. 

Sich den ganzen Tag lang mindestens zwei Mal pro Stunde zu Übergeben ist furchtbar, aber auch eine Gewöhnungssache. Ich glaube, ich habe in den letzten Monaten mehr gekotzt, als andere in ihrem gesamten Leben. In dieser Zeit haben alle gängigen Medikamente gegen Übelkeit bei mir versagt. Ich habe einfach versucht, solche Phasen zu verschlafen. 

Meinen Nährstoffbedarf habe ich in dieser Zeit ganz gut mit Cola abdecken können.

 

Irgendwann habe ich auch diese schwere Zeit hinter mir gelassen und mein Blut fing langsam mit der Regeneration an.

Bei einer der täglichen Blutkontrollen hat man leider Krebszellen gefunden. Das war alles andere als günstig, weil wir einschließlich der Ärzte glaubten, dass auch mein Knochenmark nicht richtig auf die Therapie anspricht.

Ich wurde wieder punktiert und erstmal nach Hause entlassen. Beim Kontrolltermin in der Ambulanz wurde die Punktion ausgewertet. Zur Überraschung Aller habe ich die Remission erreicht: Weniger als 5% Krebszellen im Knochenmark!

Gefühlt war das die erste gute Nachricht seit der Diagnose.

Die zweite gute Nachricht war, dass ein Stammzellspender für mich gefunden wurde. Diesen Tag in der Ambulanz werden wir so schnell nicht mehr vergessen… 

Leider gab es auch einen kleinen Haken. Um mich krebsfrei zu halten bis ich im Dezember transplantiert werden konnte, brauche ich quasi sofort noch eine Chemotherapie. Der Aufenthalt zu Hause nach über acht Wochen im Krankenhaus hat also kaum länger als eine Woche gedauert. Der Abschied war hart.

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Chemo Nr. 3

Den nächsten Chemoblock habe ich bis auf kurzes Fieber und Nebenwirkungen der Antibiotika gut vertragen. Auch psychisch ging es mir besser. Ich wusste, dass wir einen Plan hatten und dass es meinen genetischen Zwilling gab, der hoffentlich immer noch bereit war mir das Leben zu retten. 

Durch den wenigen Appetit und das viele Erbrechen in den letzten Monaten habe ich mein Gewicht von vor der Schwangerschaft erreicht - 56kg. Im Nachhinein betrachtet bin ich sehr froh, dass ich diese Reserve hatte, denn der Gewichtsverlust sollte noch kein Ende nehmen.

An dieser Stelle will ich meinem inneren Schweinehund danken, wegen dem ich  in der Schwangerschaft nicht an diversem Plundergebäck und Unmengen an Eis vorbeigehen konnte.

Durch die wenige Bewegung im Krankenhaus sind meine Muskeln ziemlich zurückgegangen. Bevor man nicht selbst mehrere Wochen im Bett liegt, glaubt man nicht, wie schnell das geht und dass es auch vor jungen Leuten nicht Halt macht. 

 

Zu Halloween wurde ich nach Hause entlassen und konnte den gesamten November dort verbringen. 

Die Zeit habe ich sehr genossen, hatte aber Probleme unserem alltäglichen Familienleben gerecht zu werden. Mir fehlte schlichtweg die Kraft. Die Therapie hat Spuren hinterlassen - am Körper und an der Seele. 

Deshalb lief in diesen Wochen nicht immer Alles reibungslos. Basti und ich wussten nicht, wie belastbar ich bin und Mal habe ich und Mal er zu viel von mir erwartet. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen, denn er hatte wie ich den illusorischen Herzenswunsch nach Normalität.

Es ist nicht einfach, geduldig zu sein, während man sich wie mittels Zeitmaschine sein altes Leben zurück wünscht.

Es ist nicht einfach, nach Monaten, in denen dein Mann dein kleines Baby quasi allein aufgezogen hat, einen Platz als Mutter für sich zu finden.

Das Schwerste für mich war aber zu akzeptieren, dass die Behandlung mich fragil gemacht hat und jede Überschreitung meiner fein gezogenen Grenzen gleich drei Rückschritte nach sich zieht.

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Neue Stammzellen


Vor der Transplantation musste ich einige Organe checken lassen. Dazu wurde ein Bauchultraschall, ein Herz-Echo und EKG, ein Lungenfunktionstest und Röntgenbilder von Lunge und Kopf gemacht.

Bis auf meine Milz, die immer noch leicht vergrößert war, gab es keine Auffälligkeiten. 

 

Am 2. Dezember wurde ich am späten Abend aufgenommen und durfte seitdem während der gesamten Zeit mein Zimmer nicht verlassen.

Anders als bei der vorangegangenen Therapien waren meine Infusiomaten fest an die Wand geschraubt und ich hatte eine 7m lange Strippe, die in meinen Venenkatheter am Hals mündete. Damit konnte ich mich im gesamten Zimmer bewegen und auch ohne den lästigen Tropfständer duschen gehen.

Sonst ist so ein Isolatonszimmer nicht spektakulär: Durch die Schleuse und den leichten Überdruck in meinem Zimmer wird verhindert, dass Luft von draußen eindringt. Das Fester zu öffnen ist nicht erlaubt. Dafür gibt es eine permanente Lüftung die auch Keime herausfiltern kann.

Es wird drei Mal täglich gewischt und nass abgestaubt und auch das Bett wird täglich neu bezogen und die Matratze desinfiziert. Das gesamte Leben spielt sich in diesen Wochen in den engen vier Wänden ab.   

Um das Infektionsrisiko so klein wie möglich zu halten muss man sich streng keimarm ernähren und darf nicht Mal Bücher lesen, die durch zu viele Hände gegangen sind.

Für meine Besucher bedeutet es Folgendes: Wer die Station betritt, muss vorher in einer Umkleide Schuhüberzieher, einen Mundschutz und einen Einwegkittel (unter dem man super schwitzt) anziehen und natürlich die Hände gründlich desinfizieren. Kinder unter 14 Jahren sind nicht erlaubt und es sollten sich nicht mehr als zwei Besucher gleichzeitig im Raum aufhalten.

Da Mila keinen Kontakt zu Kindern hat, konnte für sie eine Ausnahme gemacht werden und es wurde sogar ein Babybett von der Kinderstation organisiert. Dafür bin ich den verantwortlichen Ärzten sehr dankbar.

 

Am 4. Dezember hat schließlich meine Konditionierungstherapie begonnen. Diese bestand aus sechs Tagen Chemotherapie, die mein komplettes Knochenmark zerstören sollte und Kaninchenplasma (genannt ATG) um mein Immunsystem zu unterdrücken und die spätere Abstoßungsreaktion zu minimieren. Während der Chemotherapie wurden meine Vitalwerte per Monitor gemessen. Am Anfang ging es mir noch ziemlich gut.

Ich weiß nicht genau an welchem Tag der Chemotherapie es angefangen hat, aber ich habe drei Tage lang nicht richtig geschlafen. Am Anfang lag ich mit geschlossenen Augen da und habe auf den Moment gewartet, bis sich mein Bewusstsein verabschiedet - vergeblich.

 

In den darauffolgenden Tagen hatte ich seltsame Träume, die mich psychisch sehr ausgelaugt haben. Es war wie ein Trip aber keiner von der guten Sorte. In jedem Traum war ich gefangen in einer Zeitschleife immer auf dem selben Gelände einer Art Psychiatrie und konnte keinen Ausgang finden. Die Träume waren extrem detailliert, phantasievoll und realistisch - beinahe wie echt. Bei meiner Suche nach einem Ausweg war ich mal blind, Mal begleitet von verstorbenen Familienmitgliedern, Mal unfähig meine Beine zu bewegen. Ich traf in diesen Träumen auch diverse Menschen, die im wahren Leben nur zu den flüchtigen Bekanntschaften zählen.

Seltsam finde ich, dass ich auch in der Traumwelt immer reflektiert habe, ob ich wirklich verrückt geworden bin und das Bedürfnis hatte, dieses Missverständnis zu erklären. 

Das Schlimmste war aber, dass mir die Träume ewig lang vorkamen. Wachte ich schweißgebadet nach dieser scheinbar endlosen Suche auf, waren lediglich Minuten vergangen. Irgendwann hatte ich vor dem Schlafen sogar etwas Angst.

Ich war an einem Punkt im Leben angelangt, wo ich meiner vermeintlich unerschütterlichen mentalen Klarheit nicht mehr trauen konnte. Ich hatte Angst, dass ich meinen Vorrat an psychischer Stabilität während der vorherigen Therapien aufgebraucht habe und jetzt der große Knall kommt. PENG!

Es ist schwer einer Ärztin, die kaum älter als man selbst ist so etwas zu beschreiben und dabei ernst zu klingen. Bei den Chemomedikamenten kommt es öfter zu neurologischen Nebenwirkungen wie Krampfanfällen gegen die ich präventiv Medikamente bekommen habe.

Mein Hirn hat sich scheinbar entschieden mit einer Art Hyperaktivität zu reagieren. Das zeigte sich auch in seltsamen Körperempfindungen - wie der Einbildung ganz klein zu sein oder dass die eigenen Extremitäten gar nicht an der Stelle liegen, an der sie wirklich sind. Vielleicht war es auch eine Art Lagerkoller.

 


 

Nach sechs Tagen Chemotherapie und Immunsuppression konnte ich einen Tag lang verschnaufen bevor ich schließlich am 11. Dezember die neuen Stammzellen erhalten habe. Der Vorgang selbst war bei weitem nicht so aufregend wie seine Bedeutung für uns: Es wurde ein Beutel angehangen und die lebensrettende hellrote Flüssigkeit lief über den Venenkatheter wie bei einem Tropf in meinen Körper. Es waren gerade Mal 135ml und es dauerte keine halbe Stunde. 

 

Am ersten Tag suchen sich die Stammzellen im Normalfall selbst den Weg bis in die Knochen, in denen durch die Chemotherapie Platz für sie geschaffen wurde. 

Dort müssen sie in den darauffolgenden zwei Wochen anwachsen, damit es wieder zur gesunden Blutbildung kommt.

Neben des hohen Risikos für lebensbedrohliche Infekte sind schlimme Abstoßungsreaktionen möglich.

Diese werden als GvHD (Graft-versus-Host-Disease) bezeichnet und können akut sein oder sich zu chronischen Symptomen entwickeln.

Anders als bei anderen Transplantaten greifen die neuen Immunzellen dabei meine Organe an. Das ist, als würde ich ein neues Betriebssystem bekommen, dass meine alte Hardware nicht mehr erkennt und sie über Bord schmeißen will. 

Meist werden in erster Linie Hautzellen oder der Magen-Darm-Trakt angegriffen. Das kann von leichtem Ausschlag bis hin zu sich schälender Haut und Darmentzündungen reichen. Schlimm wird es aber, wenn es zur heftigen Reaktion mit der Lunge oder Leber kommt. 

In der chronischen Form der GvHD sind auch nicht selten die Augen betroffen. Die Patienten entwickeln dann Jahre später einen grauen Star.

 

Nach der eigentlichen Transplantation habe ich zur Unterdrückung der GvHD zwei verschiedene Medikamente erhalten: Cyclosporin und Methotherax (kurz MTX). Vor allem MTX ist ein Zaubermittel, da es in der Krebsmedizin als Chemo, als Immunsuppression nach Transplantationen aber auch bei Autoimmunerkrankungen wie Schuppenflechte oder Rheuma eingesetzt werden kann. 

Leider ist die häufigste Nebenwirkung von MTX die Entzündung von Schleimhäuten. Im Magen und Darm hat es sich bei mir vor allem durch Übelkeit gezeigt. Mehrmals saß Basti einfach auf dem Stuhl neben meinem Bett und hatte weder die Erlaubnis mit mir zu reden noch mich anzufassen. Mir wurde dabei sofort unglaublich schlecht. Von seinem Parfum oder dem Geruch des Desinfektionsmittels oder Pflasterlösers will ich gar nicht erst anfangen.

 

Mein Mund war auf die schlimmste Art betroffen (sog. Mukositis Grad IV). Der Oberarzt meinte gerade heraus, er läge in Trümmern. Die offenen und blutigen Stellen und die Zahnfleischwucherungen sind so schmerzhaft, dass man trotz Morphiumtropf nicht essen und trinken kann. Teilweise war es so furchtbar, dass ich nicht sprechen konnte. Wie die große Mehrzahl der Patienten musste auch ich deshalb für knapp zwei Wochen von gewöhnlicher Nahrung auf intravenöse Ernährung und Wässerung umsteigen.

Der Magen gewöhnt sich schnell daran kein Essen mehr verdauen zu müssen und so war es ein wirklicher Kampf um jeden Bissen als die Mukositis halbwegs abgeheilt war. Anfangs kam einfach Alles wieder hoch.

Nach Hause darf man aber erst, wenn man brav seine Tabletten, - dabei am wichtigsten die Immunsupressiva und genügend Nahrung zu sich nehmen und drin behalten kann. Ich habe bei jedem Löffel der ekligen Puddingsuppe an mein kleines Mädchen gedacht. Ich glaube sogar, einmal habe ich geheult, als ich nach einer wirklich guten Portion alles wieder nach oben befördert habe.

 

Ich habe vergessen zu erwähnen, dass sich Alles um Weihnachten herum abgespielt hat. Während es ein besonderes Fest werden sollte, bei dem Mila Augen das erste Mal vor dem Tannenbaum aufleuchten, lag ich eingesperrt in einem Zimmer und konnte nicht mal einen Happen vom Weihnachtsessen meiner Mutter kosten. Stattdessen hat Basti in seinem schönen Hemd und anschließend meine Mama und meine Oma mir die Hand beim Kotzen gehalten. Weil meine Schwester Liliana noch nicht 14 Jahre alt war, musste sie auch an diesem Tag zu Hause bleiben.

Durch die wenigen Blutplättchen ist mir eine Ader im Auge geplatzt und ich durch die Mukositis und die Wassereinlagerung im Gesicht sah ich wirklich nicht gut auf den Erinnerungsfotos an Weihnachten 2018 aus. Ich hoffe, in diesem Jahr mache ich eine bessere Figur. Sonst hielten sich die optischen Veränderungen in Grenzen. Überall in den Beugen hat sich meine Haut ganz dunkel gefärbt, was nach einigen Wochen und durch viel eincremen von allein verschwand. Zwischendurch haben sich auch meine Fußsohlen komplett abgeschält, weshalb meine Füße gegenüber Druck und warmen Wasser etwas empfindlich waren. Das war halb so schlimm, motivierte mich aber ebenfalls nicht dazu, das Bett zu verlassen.

 

Leider ist Basti gleich am zweiten Weihnachtsfeiertag krank geworden und konnte mich bis zur Entlassung nicht besuchen.

Lediglich an Silvester kam er für ein paar Minuten vorbei, weil uns die Sehnsucht verrückt gemacht hat.

Es war die bis dahin schwerste Zeit in meinem Leben - mental und körperlich. Zeitweise war es eine Höchstleistung, wenn ich es geschafft habe im Sitzen zu duschen oder mich während mein Bett bezogen wurde an den Tisch zu setzen. Ich habe vor mich hinvegetiert, allerdings jeden Tag ein bisschen weniger. Aus dem tiefsten Tal gibt es nur noch eine Richtung - nach oben! 

 

In der ersten Januarwoche hatte ich bereits genügend weiße Blutkörperchen und musste nicht mehr isoliert werden. Ein paar Tage habe ich dann auf der onkologischen Station im Virchow verbracht, auf der Seite der „freiheitsliebenden Menschen“, wie es eine Schwester charmant ausgedrückt hat. Mein Knochenmark wurde das erste Mal nach der Transplantation kontrolliert und zu unserer Freude bestand es bereits zu 100% aus Spenderzellen.

 

Wir sollten uns ursprünglich auf Ende Januar als Entlassungzeitraum einstellen. Deshalb traf es uns etwas unvorbereitet, als ich bereits am 10. Januar entlassen wurde. 

Basti hat im Eiltempo das Haus sicher für Immungeschwächte gemacht. Dazu hat er die Bettwäsche und Handtücher nochmal ausgekocht, alle Vorhänge gewaschen und besonders ordentlich abgestaubt und den Fußboden desinfiziert. Auch die Zimmerpflanzen mussten an einen Ort verbannt werden, an dem ich mich für die nächsten Monate nicht lange aufhalten sollte. Das war nicht so wild. Viel schwerer fiel ihm der Abschied von unserem Hund Romeo. Weil jedes Haustier eine Keimschleuder ist, war er bis Ostern bei meiner Mama untergebracht. 

Wir waren erleichtert, freuten uns unheimlich, hatten Angst, waren frustriert wenn etwas nicht auf Anhieb funktionierte und gezeichnet von den Strapazen - und das alles auf ein Mal. 

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Die Zeit zu Hause


Es folgte eine Zeit, in der wir uns von der Außenwelt abgeschottet haben. Nachdem uns in der Zwischenzeit ein paar enge Freunde besucht haben, habe ich Ende Januar schnell wieder Fieber bekommen und musste meinen Infekt in der Charité auskurieren. Weil damals die Transplantation so präsent in meinem Kopf und die körperlichen Spuren noch nicht vorbeigezogen waren, habe ich die 9 Tage kaum ausgehalten.

Jedes Blutabnehmen, jeder Zugang und jedes Erbrechen kamen mir viel schmerzhafter vor und die Trennung von Mila und Basti gab mir den Rest.

 

Deshalb haben wir uns in der Zeit danach nicht getraut, überhaupt Besuch zu empfangen. Nicht einmal meine Mutter und Schwestern oder meine Schwiegermutter mit den schulpflichtigen Kindern haben wir in dieser Zeit gesehen. Dabei haben alle das natürliche Bedürfnis gehabt, mich nach der schweren Zeit und auch Mila regelmäßig zu besuchen.

Meine einzigen Berührungspunkte mit der Zivilisation waren kleine Einkäufe mit Basti kurz vor Ladenschluss und natürlich mit Mundschutz und Desinfektionsmittel ausgerüstet. Zum Glück kam es nur selten vor, dass ich dabei schief angeguckt wurde.

 

Nach der Transplantation bin ich jede Woche zur Blutkontrolle gefahren, bei der auch die Dosis der Immunsuppressiva überprüft wurde. Irgendwann waren die kritischen ersten 100 Tage vorbei und wenn das Ergebnis der nächsten Knochenmarkpunktion zufriedenstellend gewesen wäre, hätte man meine Medikation langsam zurückgefahren. Dann hätte ich wieder langsam am „normalen“ Leben teilnehmen können. Hätte...

Ich weiß noch, wie mein behandelnder Arzt im Virchow mich beruhigt hat, weil mein Blutbild super aussah. Weil ich zu den vernunftbetonten Menschen gehöre, klangen seine Worte für mich logisch und haben mir entgegen meinem mulmigen Gefühl die Sorgen genommen. Und tatsächlich - mein Knochenmark bestand zu 100% aus Spenderzellen und war absolut krebsfrei. Wird die Geschichte jetzt etwas verwirrend?

 

Wir haben in der kurzen Zeit zu Hause bis zum nächsten großen Knall zu Dritt gelebt und ich finde, wir haben das ziemlich gut gemacht. Natürlich war ich nicht besonders fit und ich konnte Basti nur bedingt mit Mila und dem Haushalt unter die Arme greifen. Im Nachhinein betrachtet war das aber die Zeit, in der wir wenigstens ein kleines Bisschen wie eine normale Familie funktioniert haben.

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Der große Knall


Die Knochenmarkpunktion fand am Dienstag, dem 5. März statt. In der selben Woche wollte Basti mit seinem kleinen Bruder zum Konzert gehen. Es war der große Test, ob ich mich gut genug fühle, um alleine mit Mila zu Hause bleiben zu können. Tatsächlich ging es mir schon am frühen Morgen nicht besonders gut. Ich war schon am Vorabend überdurchschnittlich müde und hatte seltsame Rückenschmerzen. Als ich am Samstag aufgewacht bin, hatte ich es zuerst an meiner Lippe und Zunge beim Zähneputzen gemerkt. Ich hatte ein leichtes Taubheitsgefühl und konnte meine Zunge nicht richtig rollen und auch meinen Mund nicht ganz schließen.

Basti hatte gleich seine Oma als Babysitter organisiert, die bei seinem Vater und seiner Frau in Berlin war. Das war für uns wie eine glückliche Fügung.

In der Rettungsstelle der Charité in Berlin Mitte angekommen, musste ich wie immer eine halbe Ewigkeit warten. Weil eh nichts Spannendes in den ersten 4 Stunden passiert, ist Basti in der Zwischenzeit zum Konzert gefahren und dann wieder in die Rettungsstelle gekommen. Schließlich haben sich mit einem Abstand von mehreren Stunden ein Internist, ein Neurologe und ein Hämatologe meinen Zustand angeschaut und es wurde zeitnah ein CT gemacht um eine Blutung oder einen Schlaganfall auszuschließen.

Erst am nächsten Morgen konnte ich endlich auf Station. Als die Lähmung noch nicht so ausgeprägt war, haben sowohl der Neurologe als auch der Arzt von Station 119A auf einen entzündeten Nerv getippt. So eine Entzündung kann man sich vor allem in der Zeit ohne vollständiges Immunsystem schnell fangen. Immer wieder haben die Ärzte aber betont, dass erst ein MRT und eine Lumbalpunktion uns eine sichere Diagnose liefert.

Einer der Ärzte meinte, dass es in seltenen Fällen ein Symptom für Leukämie ist, die sich im zentralen Nervensystem ausbreitet und zu neurologischen Ausfällen führt. Weil wir bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Feedback von der letzten Punktion hatten, waren die Ärzte und auch wir davon ausgegangen, dass Alles in Ordnung ist. Umso weniger wahrscheinlich war es, dass die Leukämie sich in meinem Hirn breit macht. Sicher waren wir uns diesbezüglich aber nicht, was uns ziemlich nervös gemacht hat.  

Weil ich nicht zu den akuten Fällen gehörte, konnte das MRT erst für Montag angemeldet werden. Außerdem sollte Nervenwasser mittels einer Lumbalpunktion entnommen werden. Dabei wird mit einer Nadel zwischen zwei Lendenwirbel gestochen und ein paar Milliliter der klaren Flüssigkeit in einem Röhrchen gesammelt. Weil das allerdings zu Reizungen der Hirnhäute und damit zu einem verfälschten MRT führen kann, mussten wir auch auf diese Untersuchung bis Montag warten. Am Montag erhielten wir auch die Bestätigung, dass mein Knochenmark gesund war. Wäre es anders, hätte sich mein behandelnder Arzt im Virchow auch bei mir gemeldet. 

 

Am Montag konnten mithilfe von Kontrastmittel genauere Bilder von meinem Hirn im MRT gemacht werden. Danach erhielt ich meine erste Lumbalpunktion. Die Proben wurden vom Oberarzt der Station 119A unter dem Mikroskop angeschaut und zusätzlich ins pathologische Labor eingeschickt. 

Daraufhin gab der Arzt relative Entwarnung bezüglich der Leukämie im Zentralen Nervensystem und meinte, dass auch das MRT auf den ersten Blick unauffällig sei. Da er kein Neurologe ist, wollte er diesbezüglich aber auf den Befund seines Kollegen warten. 

Nach erstem Aufatmen habe ich Basti angerufen und ihn beruhigt. Leider hatte mich meine Intuition nicht getäuscht und war etwas vorschnell... 

Als noch am selben Abend die Laborergebnisse eingetroffen sind, ist unsere Welt aus den Fugen geraten.

Es waren nur sechs Zellen im Nervenwasser und von denen konnten mehr als die Hälfte definitiv als Krebszellen identifiziert werden. 

Ich mache meinem Oberarzt keinen Vorwurf wegen der emotionalen Achterbahn. Er hat auf Basis seiner Erfahrungswerte ein Rezidiv für unwahrscheinlich gehalten. Alle Ärzte auf der Station waren überrascht wenn nicht gar geschockt und hätten nicht vermutet, dass eine so geringe Anzahl an Krebszellen sich in einer Lähmung des halben Gesichts äußert.

Weil dieser Rückfall sich nur auf mein zentrales Nervensystem beschränkt hat, nennt man es auch isoliertes Rezidiv. Es ist sehr selten, dass der Krebs nicht zuerst im Knochenmark zurück kommt.

Bezüglich meiner Knochen war ich also gesund. Ich hatte immer noch zu 100% Spenderzellen und kein Anzeichen von Krebs. Die Transplantation war erfolgreich, wäre da nicht diese kleine Sache mit meinem Oberkontrollzentrum.

Es hat sich umso schlimmer angefühlt, weil wir uns anfangs in Sicherheit wiegten. Meine Leukämie ist wohl ein ziemlicher Feigling, der sich hinterrücks anschleicht.

Am Tag der Diagnose hat Basti eine kurze Beurlaubung mit der Ärztin organisiert und ich konnte über Nacht nach Hause. Nochmal im eigenen Bett schlafen, neben meiner Tochter aufwachen und mit meiner Familie am Tisch sitzen…

 

Die kommenden Tage waren die schlimmste Zeit unseres Lebens. Das Warten auf genauere Ergebnisse, einen Plan oder wenigstens einen Ausblick hat einen mürbe gemacht. Es war ein Auf und Ab aus unerschöpflicher Motivation, Alles zusammen durchzustehen und Momenten, in denen man sich ganz ernsthaft von einander verabschiedet hat. In denen man reflektiert hat, ob man in letzter Zeit die andere Person so behandelt hatte, wie sie es verdient. In der man bereut, sich nicht so innig geküsst zu haben - auch wenn es wegen dem Infektrisiko vernünftig war.

Es war ein unbeschreiblicher innerer Schmerz, sich in diesen Stunden von seinem Leben zu verabschieden. An meine kleine, zuckersüße und ahnungslose Tochter konnte ich nicht denken, ohne dass es mir das Herz zerrissen hat. Zu diesem Zeitpunkt hat mich nur der Gedanke daran motiviert, dass Heilung nicht ausgeschlossen ist und ich die Transplantation erfolgreich war.

An diesem Punkt dachte ich, dass ich es nicht aushalten könnte, wenn noch schlechtere Nachrichten auf uns zukommen sollten. Wie sehr habe ich mich getäuscht. Es gibt nur einen Fokus, eine Blickrichtung und egal, wie sehr man emotional und körperlich leidet: der Lebensinstinkt verlässt einen nie. 

 

Nach einigen Tagen haben wir den ersten Schock verdaut und waren mitten in der Realität der intrathekalen Chemotherapie (sog. Triple-Therapie) angekommen. Dazu wurde mir mit einem Abstand von jeweils zwei Tagen nach der Lumbalpunktion das Chemomittel über die selbe Nadel in den Liquor gespritzt. 

Im Normalfall verursacht das keine schlimmen Nebenwirkungen aber was ist schon normal bei meiner Erkrankung?

Ich habe also wieder eine ziemlich schlimme Mukositis mit offenen Stellen entwickelt und habe mich eine Woche lang von Cola und an guten Tagen etwas Buchstabensuppe ernährt.

Weil ich unbedingt vermeiden wollte, dass mir ein zentraler Venenkatheter gelegt wird, habe ich mich in dieser Zeit auch nicht ernähren lassen und dadurch 6kg verloren.

Das viel größere Übel waren aber die Punktionskopfschmerzen. Gegen diese Art von Schmerz helfen keine Medikamente. Sie werden verursacht, weil durch die Punktion ein kleines Nervenwasserleck entstanden ist und mein Hirn nicht genügen Flüssigkeit für seine Poolparty hat. Die Reizung der Hirnhäute machte sich zum Glück nur in aufrechter Position bemerkbar, war dann aber sehr heftig.

In dieser Zeit habe ich das Bett für knapp zwei Wochen nicht verlassen und bin nur mit gebeugtem Oberkörper kurz zur Toilette gegangen. Dann bin ich wieder jammernd ins Bett gestürzt und habe abgewartet, bis das Pochen im Kopf vorbei ist. Es war, als würde jemand meinen Schädel in einem Schraubstock einspannen.

Weil später noch Fieber dazu kam, musste ich zum Röntgen. Allein die 30 Sekunden in denen ich meinen Oberkörper und Kopf am Röntgengerät aufrecht halten musste, haben mich zwei Nierenschalen vollkotzen lassen.

 

Basti hatte zu dieser Zeit die Sorge, ich würde es nicht schaffen und mich zu Tode hungern. An seiner Stelle hätte ich vor lauter Angst bestimmt auch versucht, mich zusammen mit den Ärzten von künstlicher Ernährung zu überzeugen. Ich wäre genau wie er jeden Tag nochmal Nachhaken gegangen, was in der Visite besprochen wurde. 

Für sein Vertrauen hatte ich keine Gegenleistung parat. Ich bin ihm dankbar, dass er mir die Entscheidung überlassen hat. Zu diesem Zeitpunkt war es physisch vielleicht nicht das Klügste, aber es schenkte mir wieder ein Stück Selbstbestimmung.

Ich wollte wie ein gesunder Mensch Nahrung zu mir nehmen und nicht akzeptieren, dass mein Zustand so schlecht war. 

 

Die Therapie musste pausiert werden.

Um die Punktionskopfschmerzen in den Griff zu kriegen, wurde ein sog. Eigenblutpatch vorgenommen. Dabei wird frisch gezapftes Blut wie bei einer Lumbalpunktion zwischen die Wirbel gespritzt und soll das Nervenwasserleck verschließen. Nach knapp drei Tagen waren die Kopfschmerzen weitestgehend weg und auch meine Mundschleimhäute ließen etwas feste Nahrung zu. Die intrathekale Chemotherapie konnte nun wieder aufgenommen werden, diesmal jedoch im wöchentlichen Rhythmus.

 

Nach knapp vier Wochen im Krankenhaus wurde ich entlassen und bin ein Mal wöchentlich in die Ambulanz zur Kontrolle, Lumbalpunktion und anschließenden Chemotherapie gefahren. Der Plan: nach vier Wochen im Nervenwasser testen, ob meine Mutation nachweisbar ist und im Anschluss eine Bestrahlung der Neuroachse (Kopf und Wirbelsäule) über mehrere Wochen durchführen. Bei der Bestrahlung sollte darauf Acht gegeben werden, dass mein gesundes neues Knochenmark nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. 

Kurz vor Ostern wurde meine Immunsuppression auch vollständig zurück gefahren. Dadurch konnten wir das Fest bei meiner Mutter zusammen mit meinen Schwestern und meiner Oma verbringen. Noch in der selben Woche waren wir sogar im Restaurant zu einer Jugendweihe und ich habe endlich etwas aufgeatmet. Ich dachte, die Ärzte biegen mein Nervensystem wieder hin und ich kann langsam die Krankheit überwinden, unter Leute gehen und mein Leben mehr genießen.

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Hello again...

Bei der vierten Kontrolle ist aufgefallen, dass meine Blutplättchen ziemlich niedrig waren. Das konnte laut meinem Arzt an einem Virus, einer neu entwickelten Autoimmunkrankheit oder im schlimmsten Fall an einem Rezidiv im Knochenmark liegen. Jetzt ratet Mal, welches Türchen sich Martyna bei der Lotterie ausgesucht hat. Um die Ursache zu checken hat der Oberarzt vorsichtshalber eine Knochenmarkpunktion durchgeführt und wollte mich anrufen, sobald das Labor erste Ergebnisse liefert. 

Ich fuhr nach Hause und das Warten ging wieder los. 

 

Am späten Nachmittag rief er schließlich an. An seiner Stimme habe ich gleich gehört, dass es keine guten Nachrichten gibt. Die große Hiobsbotschaft: 70% Krebszellen im Knochenmark. Klar war außerdem, dass eine erneute Transplantation notwendig ist um mir das Leben zu retten. Am kommenden Tag sollte ich auf Station 119A aufgenommen werden.

 

Wir sind mit Mila und Romeo ins Dachgeschoss gegangen und haben uns ins große Gästebett gelegt. Ich habe an diesem Tag sehr viele Tränen vergossen. Nicht, weil mir die Krankheit Angst machte. Das Weinen war nicht hysterisch sondern ganz ruhig. Der Gedanke, dass das Spiel von vorne beginnt und ich diesmal noch schlechtere Karten habe, wog tonnenschwer. Es fühlt sich an, als wollte dir etwas von Innen deinen Brustkorb sprengen, wenn du dich wieder auf eine lange Trennung von deinem Baby und deinem Mann einstellen musst. Niemand kann dir garantieren, dass es nicht das letzte Mal in deinem Zuhause ist. Es ist einfach unheimlich schmerzhaft.

 

Nachdem wir unsere Kräfte nochmal gesammelt haben, folgten die Anrufe an unsere Familien und Freunde. 

Am 14. Mai war ich wieder dort, wo Alles begonnen hatte. Die Gesichter der Ärzte waren zum Teil nicht die selben aber der Ausblick, der Geruch des Putzmittels und das ziemlich miese Essen waren es. Seit der Aufnahme bekomme ich täglich ein Medikament gespritzt, dass die Ausbildung von Stammzellen und deren Ausschwemmen aus den Knochen anregen soll. In der ersten Nacht noch bevor die Chemotherapie losging hatte ich deshalb unheimliche Knochenschmerzen und habe mir am Pflegestützpunkt Tilidintropfen besorgt, um schlafen zu können. 

Am Mittwoch habe ich eine PICC-Line bekommen und wir konnten mit der Hochdosis-Chemotherapie beginnen. Eine PICC-Line ist wie ein zentraler Zugang, der nicht am Hals sondern über eine Armvene bis zum Herzvorhof gelegt wird. 

 

Als Krebsmedikament habe ich über fünf Tage Cytarabin, Idarubicin und Fludarabin erhalten. Außerdem gab es vorher Wässerung für meine Nieren und darin Medikamente gegen Übelkeit und Kortison als Entzündungshemmer. Bis auf leicht entzündete Mundschleimhäute habe ich diesen Chemoblock ziemlich gut hinter mich gebracht. Im Zelltief, das bereits am ersten Chemotag zu meiner Isolation geführt hat, habe ich in der darauffolgenden Woche Fieber bekommen. Da meine PICC-Line leicht gerötet aussah, musste sie entfernt werden. Das war ziemlich unpraktisch, weil mir so täglich die Arme beim Blutabnehmen und beim Legen neuer Kanülen zerstochen wurden. Unter der Therapie haben meine Venen ziemlich gelitten und gewöhnliche Zugänge halten bei mir im Schnitt nur zwei Tage. Die Ärzte haben immer Mühe, geeignete Stellen zu finden. 

Darauf folgte ein Lungen-CT und ein intravenöses Antibiotikum. Weil ich nach zwei Tagen noch immer hohes Fieber hatte, gesellte sich schnell ein zweites Antibiotikum dazu, das mein Fieber schließlich sinken ließ. 

 

In dieser Zeit habe ich bis auf Basti alle Verabredungen abgesagt und vorerst keinen Besuch empfangen. Nach einigen fieberfreien Tagen ist meine Temperatur eines abends wieder auf über 38 Grad Celsius gestiegen und meine Lunge wurde wieder geröntgt. Eine Lungenentzündung hatte ich auf jeden Fall nicht, jedoch haben auch die Blutkulturen, mein Rachenspülwasser und der Urin kein Ergebnis geliefert. 

Weil Pilzinfektionen am schwersten und langwierigsten zu therapieren sind, habe ich in den darauffolgenden Tagen präventiv ein Pilzmittel als Infusion erhalten. Davon bekommen manche Patienten Halluzinationen. Weil es bei mir etwas schnell einlief, hatte ich Blitze vor den Augen - unpraktisch, wenn man schlafen will. Das Zeug wurde zeitnah gegen geringer dosierte Tabletten ausgetauscht. In der Zwischenzeit hat der Wind wieder gedreht, was die Planung meiner Therapie angeht. Die neue Idee des Chef-Transplantologen aus dem Virchow: eine haploidentische Stammzelltransplantation. Dabei werden Stammzellen eines Elternteils oder Kindes übertragen. Deshalb wurde meine Mutter genau typisiert und zum Glück wissen wir bereits, dass sie als Spenderin passt. 

 

Das ist das seltsame an dieser Krankheit und unserer Geschichte. Einige Patienten warten sehnsüchtig auf einen passenden Spender und sterben dabei. Ich habe drei sehr gut passende Spender aber auch eine Leukämie, die aggressiv ist. Die Ärzte befürchten, dass es auch diesmal schnell zum Rezidiv kommt und hoffen auf die GvL-Reaktion (Graft-versus-Leukemia-Reaktion). Dabei passiert nichts anderes als bei der GvHD, nur dass die neuen Immunzellen die Blutkrebszellen angreifen und nicht meine Organe. Bei einem weniger passenden Spender wie meiner Mutter fällt diese Reaktion und die GvHD stärker aus. Es ist ein Balanceakt, eine Abstoßungsreaktion zu provozieren aber sie auch zu kontrollieren um mein Leben nicht zu gefährden. 

Vor der Transplantation war eigentlich ein Zyklus hochdosiertes MTX (das Zeug, dass die Mundschleimhäute so kaputt macht) angedacht. Aktuell sieht die Situation wieder ganz anders aus und ich versuche die Geschichte im 1. Update weiter zu erzählen, bevor sie mir davon galoppiert. 

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 Von meinem letzten Chemoblock und der geplanten Transplantation mit den Stammzellen meiner Mutter habe ich bereits berichtet. Nach dem Zyklus wurde mein Knochenmark kontrolliert und das Ergebnis war gar nicht gut. 

Die Zellen in meinem Knochenmark sind zwar insgesamt auf 25% gesunken, allerdings sind von diesen gut 90% als Krebszellen identifiziert worden. Das große Ziel vor der Transplantation sind aber maximal 5% Krebszellen auf die verbliebenen Zellen gerechnet. Die Standardtherapie hat versagt.

Deshalb wurde der Plan verworfen, mir hoch dosiert MTX zu verabreichen. Stattdessen habe ich Antikörper bekommen, der streng genommen nur für Patienten in Ersttherapie zugelassen ist.

Ob die Antikörper uns der 5%-Marke näher bringen, wird sich zeigen.

 

Was fest steht ist aber, dass egal wie viel Leukämie in meinen Knochen übrig bleibt, wir auf jeden Fall so schnell wie es geht transplantieren müssen. sie ist im Vergleich zu lebensgefährlichen Infekten quasi das kleinere Übel. 

Und da sind wir schon beim Thema. In der Zwischenzeit hatte sich mein Weisheitszahn entzündet, sodass er letzten Mittwoch in Vollnarkose entfernt werden musste. Zum Glück verheilt er gut.

Dafür hat sich jetzt ein neuer Abgrund aufgetan, den wir seit der Erstdiagnose umschiffen konnten: Eine Infektion in der Lunge.  Weil ich am Samstag Abend wieder hohes Fieber bekommen habe, hat man am Sonntag ein CT gemacht und den Pilz in der Lunge entdeckt. Am Montag folgte eine Bronchoskopie, durch die außerdem eine bakterielle Infektion bestätigt wurde. Juhu!

Das bedeutet wieder neue Medikamente samt dem Pilzmittel, von dem man halluziniert. Insgesamt bekomme ich 4 Liter Medikamente per Infusion. 

 

Gestern habe ich nochmals aufgefiebert und konnte Basti kaum anschauen. Sein Blick hatte so viel Mitleid - nach einer langen "guten" Therapiezeit ging es wieder mit dem Erbrechen los und auch sonst lag ich gestern  den gesamten Nachmittag regungslos im Halbschlaf da. Glücklicherweise hatte ich keinen Schüttelfrost, dafür aber Knochenschmerzen und auch meine Haut hat sich bei Berührung unangenehm angefühlt. Ich finde das Fieber ziemlich lästig und es bereitet mir ein wenig Sorgen, weil ich dadurch merke, wie schnell ich wieder in einen schlechteren Zustand zurückgeworfen werden kann. Die Gesundheit ist wie ein hauchdünner Faden.

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